WerteWandel – Prozesse, Strategien und Konflikte in der gebauten Umwelt

WerteWandel – Prozesse, Strategien und Konflikte in der gebauten Umwelt

Organisatoren
DFG-Graduiertenkolleg "Kulturelle und technische Werte historischer Bauten", Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg
Ort
Cottbus
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2019 - 27.09.2019
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Von
Albrecht Wiesener; Duygu Göcmen, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg

Einschätzungen der gebauten Umwelt unterliegen immer einer Wertung, die von unterschiedlichen politischen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen beeinflusst ist und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen unterliegt. Phänomene von Wertewandel lassen sich sowohl bei Neuplanungen als auch beim Umbau, bei der Instandsetzung und der Ertüchtigung von Bauwerken beobachten. Auf diesen Überlegungen aufbauend, wurde bei der Tagung in interdisziplinärer Perspektive über den Zusammenhang von sich verändernden Werthaltungen und der gesellschaftlichen Funktion von Architektur diskutiert.

HANS-RUDOLF MEIER (Weimar), der mit seinen Forschungen und Publikationen zur Geschichte und Theorie der Denkmalpflege, insbesondere mit seiner gemeinsam mit Ingrid Scheurmann und Wolfgang Sonne herausgegebenen Publikation Werte. Begründungen der Denkmalpflege in Geschichte und Gegenwart zu den wichtigsten Protagonisten der Diskussion über Wertewandel gehört, führte anhand von vier Perspektivierungen in das Thema ein. Auf die Herleitung der „Wertelehre“ aus der Volkswirtschaftslehre und Moralphilosophie des 19. Jahrhunderts und einen Überblick über Wertemodelle in der Denkmalpflege ließ Meier eine ausführliche Diskussion von Wertekonflikten folgen. Dabei verdeutlichte sich bereits im Rückgriff auf Alois Riegl und sein fundamentales Denkmalwerte-System, dass der Wertewandel kein Phänomen der Gegenwart, sondern vielmehr ein historischer Wiedergänger ist. Die Debatten über das industrielle Kulturerbe und gegenwärtig die Klimafolgendebatte verdeutlichen umso mehr die zeitbedingte Abhängigkeit dessen, was wir in der jüngeren Vergangenheit wertschätzen.

In der ersten Sektion Wertbegriff und Wertentstehung thematisierte ACHIM HAHN (Dresden) die Herausforderung, angesichts der komplexen Begriffsgeschichte und Vieldeutigkeit des Wertebegriffs zu verallgemeinernden Aussagen im Hinblick auf den Wertewandel in der Architektur zu gelangen. Nach einem kurzen Überblick über die theoretischen Verortungen des Wertebegriffs stellte er die lebensweltliche Bedeutung für den Umgang mit gebauter Umwelt in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Im Rückgriff auf von ihm selbst ausgearbeitete Forschungsansätze in der Architekturtheorie diskutierte Hahn, ob ein Wertewandel im Umgang mit der gebauten Umwelt nicht vielmehr dann vorläge, wenn im Zuge unerwarteter Erfahrungen im Gebrauch von Architektur situativ-motiviert eine Entscheidung vollzogen wird. Die neu ausgerichtete Aufmerksamkeit für bislang übersehene Aspekte des Architekturgebrauchs geht zurück auf aktuell gewonnene Einsichten, was denn das gute Leben, das gute Wohnen für einen selbst seien.

Wie verschiedene Wertinterpretationen von historischer Bebauung zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Interventionen führen und wie diese dabei einen Wertewandel beim betroffenen Objekt verursachen, erläuterten ÖZGÜN ÖZÇAKIR (Ankara), GÜLİZ BİLGİN ALTINÖZ (Ankara) und ANNA MIGNOSA (Rotterdam) an zwei Beispielen in der Türkei: der historisch-urbanen Bebauung in Tarlabaşı (Istanbul) und in Konak (Izmir). Beide Areale wiesen eine diverse soziale Struktur hauptsächlich von BewohnerInnen mit Migrationshintergrund auf. Eine Post-Intervention-Analyse zeigte, dass die Top-Down-Herangehensweise in Tarlabaşı zu einer Steigerung der ökonomischen, aber einem kompletten Verlust der sozialen Struktur und ihrer Heterogenität führte, während in Konak die präferierten Bottom-Up-Entscheidungsprozesse eine Steigerung sowohl der sozialen als auch der ökonomischen Werte brachten. Die Analyse basierte auf der Anwendung eines von den Referenten entwickelten Erklärungsansatzes, des Heritage Value Circle. Dadurch lassen sich in vergleichender Perspektive unterschiedliche Wertinterpretationen, Milieus und gesellschaftliche Interventionsansätze untersuchen und für weitergehende Interpretationen nutzbar machen.

Die zweite Sektion war dem Wertewandel im Entwurfsprozess gewidmet und ging der Frage nach, welche Rolle einzelne Akteure im Entscheidungsprozess spielen und durch welche Dynamiken diese Prozesse beeinflusst sind. Mit ihrem Vortrag über Heinrich Hübsch behandelte DOROTHEA ROOS (Cottbus) das ziegelsichtige Bauen um 1830 am Beispiel der Finanzkanzlei am Karlsruher Schlossplatz und fokussierte auf die Abwendung von bis dahin an diesem Ort üblichen Gestaltungsvorgaben. Dieser Entwurf verkörperte ein von Hübsch schriftlich verfasstes und über die Zeit hinausgehendes Architekturverständnis, nämlich dauerhaft, klimagerecht, materialtypisch und funktionsbasiert zu bauen. Die im Bau selbst wie auch in den zeitgenössischen Diskursen verhandelte Frage der Materialgerechtigkeit und Konstruktionsehrlichkeit liest sich dabei wie ein Vorbote der architektonischen Moderne des 20. Jahrhunderts.

JOCHEN KIBEL (Berlin) führte zu Beginn seines Vortrages den Begriff „Werteverhältnisse“ ein. Wie er am Beispiel der zum Teil kontroversen Diskussionen über den Umbau des Neuen Museums in Berlin zeigen konnte, koexistierten verschiedene Wertzuschreibungen des Gebäudes und riefen so in der Folge Konflikte hinsichtlich der tatsächlichen und geplanten Eingriffe bei seinem Umbau hervor. Dabei sei zu beobachten gewesen, dass selbst ähnliche Wertzuweisungen im Hinblick auf den Stellenwert von Historizität und Modernität ganz unterschiedliche Vorschläge für den Umgang mit dem historischen Gebäude bedingen konnten. Somit entstand ein öffentlich ausgetragener Wertekonflikt (auf der Ebene der Deutungen) ohne Wertekonflikt (auf der Ebene der Wertzuweisungen /-zuschreibungen), wie Kibel zusammenfasste.

Mit seinem Vortrag über die den zeitgenössischen Forschungsbauten zugrundeliegenden Architekturkonzepte thematisierte MARCUS VAN REIMERSDAHL (Dresden) die auffallend ähnlich artikulierten Designparameter zur Erfüllung der Funktion dieser Bauten wie etwa Zwanglosigkeit, Offenheit, Interaktion, Sichtbarkeit usw. Er fragte, wo diese neuen Erwartungen ihren Ausgangspunkt haben und wer die Entscheidungen trifft, welche räumlichen Eigenschaften für bestimmte Funktionen geeignet seien. Dabei konnte eine Parallele zwischen dem Diskurs über die Forschungsbaukonzepte und die neuerdings auf Erlebnis fokussierten Marketingstrategien gezogen werden. Es wurde deutlich, dass in beiden Fällen nicht mehr das Objekt bzw. seine zu erfüllende Funktion im Vordergrund steht, sondern die während der Benutzung dieses Objekts ermöglichte Erlebnisvielfalt.

Die Vorträge der dritten Sektion beschäftigten sich mit den Wegen der Wertevermittlung und gingen der Frage nach, welche Strategien und Instrumente bei den Inwertsetzungsprozessen zur Anwendung gelangen. MORITZ RÖGER (Frankfurt am Main), sprach über die politisch aufgeladene Debatte um die neue Frankfurter Altstadt. Nach einer kurzen Darstellung des Verlaufs des Dom-Römer-Projekts, des Abrisses des Technischen Rathauses und des Wiederaufbaus dieses Bereichs der Altstadt in der Form vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg – wobei nach seinen Worten die Politik die Experten gebremst bzw. überstimmt hatte – wendete er sich der Anatomie der Altstadt zu und schilderte anhand von Luftfotos, Karten und Bildern einer Zeitspanne von den 1850er Jahren bis etwa 1910 die gleichzeitige Modernisierung und Romantisierung des Areals. Dabei wurde deutlich, dass damals wie heute die Altstadt bzw. die Vermittlung der Idee der Altstadt stark von subjektiven Wertzuschreibungen geprägt und gestaltet wurde.

Auch der folgende Vortrag von OONA SIMOLIN (Helsinki) über den Weltkulturerbe-Ort Suomenlinna, eine mittelalterliche Festung vor den Toren von Helsinki, diskutierte die Veränderungen der Wertevermittlung im Hinblick auf historische Bausubstanz. Auf der Grundlage eigener Erhebungen und Studien konnte Simolin die Fallhöhe nachweisen, die zwischen den akademisch geprägten Heritage-Debatten und den tatsächlich vor Ort zu vermittelnden baukulturellen und historischen Bedeutungszuschreibungen nach wie vor besteht, und in der Heritage Site Managers und Tourplaner zu den eigentlichen „mediators of values“ werden.

MESUT DINLER (Turin) thematisierte den Entstehungs- und Institutionalisierungsprozess der städtebaulichen Denkmalpflege in der Türkei in den 1960er und 1970er Jahren. Die rigorosen Eingriffe ins historische Gefüge von Istanbul am Ende der 1950er Jahren waren der Ausgangspunkt der Diskussion über die urbane Struktur, zeitgleich mit derselben Diskussion im kriegszerstörten Europa. In einer Periode gravierender sozialer, politischer und ökonomischer Transformationen in der Türkei konnten sich in diesen Jahren – auch aufgrund des Machtvakuums in der Staatsverwaltung in Folge der Putsche – die Diskussionen, Gesetze und Institutionen um die städtebauliche Denkmalpflege entfalten und die Heritage-Experten in einem Top-Down-Verfahren neue Standards etablieren. Dinler erläuterte, dass während dieses Prozesses der Expertensicht eine zu große Bedeutung beigemessen wurde, ein Umstand, der nicht in allen Fällen eine ideale Herangehensweise sicherte.

Die letzte Sektion des Tages Politische Inwertsetzung – Widersprüche und Aushandlungsprozesse richtete den Blick auf die Aushandlungsprozesse bei der Inwertsetzung von politisch und sozial umstrittenen urbanen Anlagen. Zuerst präsentierte LUISA BEYENBACH (Cottbus) am Beispiel des Reichsparteitag-Geländes in Nürnberg den Umgang mit monumentalen NS-Gebäuden nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie ging der Frage nach, was mit diesen Gebäuden zu tun war, die durch den Untergang des Nazi-Regimes funktionslos geworden waren und deren bauliches Weiterbestehen eine besondere Herausforderung für die demokratische Öffentlichkeit der Bundesrepublik darstellte. An Beispielen der Nachnutzung und der öffentlichen Diskussion über das Reichsparteitagsgelände konnte sie die unterschiedlichen Strategien innerhalb der Umwertungsansätze näher beleuchten.

Die anderen beiden Vorträge der Sektion waren zwei benachbarten Bauten im Herzen von Istanbul gewidmet. Zunächst beleuchtete TURGUT SANER (Istanbul/Cottbus) die Geschichte eines Areals im Stadtzentrum, bekannt als der Ausgangs- und Brennpunkt der sogenannten Gezi-Proteste im Jahr 2013. Früher war das Areal mit einem Kasernengebäude aus spätosmanischer Zeit bebaut. Infolge der modernistischen Staatsprojekte wurde die Anlage 1940 abgerissen und hier im Namen des damaligen Staatschefs Inönü eine Esplanade nach europäischem Vorbild angelegt: der Inönü-Park, später Gezi-Park genannt. Im Zuge der verstärkten Ausrichtung der Türkei an islamischen Grundsätzen wurde das historische Kasernengebäude paradoxerweise zu einem Symbol für die untergegangene osmanische Zeit und ein Wiederaufbau von politischer Seite propagiert. Saner zeigte anschaulich auf, wie die Existenz und die Nicht-Existenz eines Gebäudes so symbolhaft für ganz unterschiedliche politische Werthaltungen in der jüngeren Geschichte der Türkei stehen konnten.

Im Fokus der Präsentation von ZEYNEP KÜÇÜK und İMGE YILMAZ (beide Istanbul) standen die Hintergründe des Abrisses des Atatürk-Kulturzentrums und des Neuaufbaus als Operngebäude am Taksim-Platz in Istanbul. Das etwa 20 Jahre nach der Anlage des Inönü- bzw. Gezi-Parks vollendete Gebäude wurde ebenso als ein Symbol der Ausrichtung der Türkischen Republik an der westlichen (Architektur-)Moderne angesehen. Die starke politische Polarisierung innerhalb der türkischen Gesellschaft der Gegenwart, die die Entscheidung für den Abriss maßgeblich beeinflusst hat, machten das Atatürk-Kulturzentrum zu einem Symbol für einen langwierigen Ablösungsprozess von kemalistischen und säkularen Normen und Werten der Vergangenheit. Küçük und Yılmaz diskutierten im Anschluss daran den geplanten Neuaufbau des Gebäudes, bei dem die ikonische Fassade zwar erhalten bleibt, das Gebäude selbst aber mit einer gänzlich anderen politischen Motivation konnotiert und weiterhin in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wird.

Die letzte Sektion der Konferenz war mit „Transformation der Werte – Phänomene und Bedeutungsverschiebungen“ überschrieben und mit geographisch breit gefächerten Vorträgen vertreten. Zunächst trug STEPHANIE HEROLD (Bamberg) ein aktuelles Phänomen vor: die Steigerung der Wertschätzung der Großsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre. Sie ging der Frage nach, ob es sich hier um ein ähnliches Phänomen handelt wie bei den zuerst aus wirtschaftlichen, ästhetischen und gesundheitlichen Gründen stark kritisierten, aber danach hoch geschätzten gründerzeitlichen Siedlungen. Sie wies darauf hin, dass sich die Prozesse ähneln, aber die geschätzten Werte der beiden Siedlungsformen differieren. Bei den gründerzeitlichen Wohnbauten ging es um eine Re-Ästhetisierung der Architektur und der durchmischten Lebensformen, wohingegen es sich bei den Großsiedlungen eher um die sozialutopischen Konzepte handele, die in dieser Architekturform vergegenständlicht waren. Herold entwickelte daraus die These, dass sowohl Werte als auch Bewertungen ausgehend von aktuellen Denkweisen definiert und von aktueller Kritik neu definiert werden.

Über die Transformation der urbanen Kleingärten am Beispiel Kopenhagens und die dabei beobachteten Wertewandelprozesse und Interessenkonflikte sprach NICOLA THOMAS (Kopenhagen). Zunächst gab sie einen Überblick über die Werte, die man mit urbanen Kleingärten verbindet. Diese sind nach ihrer Darstellung historisch, ökologisch, räumlich und aus sozialer Sicht zu definieren. Die ehemals auf abgelegenen Flächen der Stadt gegründeten und von eher einkommensschwächerer Bevölkerung genutzten Gärten, deren Geschichte bis zur Jahrhundertwende zurückgeht, standen von Beginn an an einer Schnittstelle zwischen Abwertung und Aufwertung. Einerseits war ihre Lage relativ wertlos, andererseits waren sie als kreativer Gemeinschafts- und Rückzugsort konnotiert und sozial hochgeschätzt. Nach dieser Einführung erläuterte Thomas die seit 20 Jahren andauernden Aushandlungsprozesse um die Kleingärten in Kopenhagen. Anfang des 21. Jahrhunderts wurde ein nationales Gesetz zur Sicherung aller Kleingärten erlassen, das allerdings nicht das erwünschte Ergebnis (Aufwertungsstopp) erbrachte, sondern vielmehr den Weg zur Gentrifizierung der Kleingärten öffnete, so dass eine Neubewertung der bebauten Anlagen von urbanen Mittelschichten stattfand.

Wie drastisch die Wertsteigerung eines historischen Gebäudes den Umgang damit verändert und welche negativen Effekte dies mit sich bringen kann, erörterte SHRADDHA BHATAWADEKAR (Cottbus) am Beispiel des Chhatrapati-Shivaji-Maharaj-Bahnhofs in Mumbai. Sie diskutierte „heritagisation“ als einen Prozess, durch den sich das Bahnhofgebäude seit seiner Einschreibung in die UNESCO-Welterbeliste im Jahr 2004 von einem funktionalen Objekt nach und nach in ein Ausstellungsstück umwandelte. Dieser Fokus auf das architektonisch bedeutsame Gebäude verursache eine asymmetrische Inwertsetzung, so dass die Gefahr besteht, dass der ganzheitliche Wert des Eisenbahnerbes mit seiner politischen Hintergrundgeschichte und seiner Bedeutung im täglichen Leben der Bevölkerung in diesem Enthusiasmus vernachlässigt wird.

BILGE AR (Istanbul) befasste sich mit den wechselnden Funktionen der Kirche Hagia Eirene in Istanbul, mit besonderem Fokus auf die Transformationen in der osmanischen Zeit. Das im 6. Jahrhundert erbaute Gebäude bildete mit der Hagia Sophia einen Komplex unter dem Namen Megali Ekklesia und war eine der wenigen zeremoniellen imperialen Kirchen von Konstantinopel. Nach der Eroberung der Stadt 1453 durch die Osmanen wurde der Komplex aufgespalten und Hagia Sophia in eine Moschee, Hagia Eirene in ein Lager für die byzantinische Kriegsmaschinerie umgewandelt. Entgegen der tradierten Ansicht, dass alle Kirchen nach der Eroberung als Moscheen weitergenutzt wurden, zeigte Ar auf, dass viele Kirchen je nach Bedarf in Wohnungen, Werkstätten, Workshops, Derwischhütten, Depots u. ä. umfunktioniert wurden. Das in Nachbarschaft zum neuen Topkapı-Palast gelegene und gut geschützte Gebäude entwickelte sich als Institution bald über seine Lagerfunktion hinaus in eine Art Museum für berühmte symbolische Artefakte. Ar diskutierte abschließend, was ein Museum zu einem Museum macht und inwieweit dieses Gebäude als Paradebeispiel für die wechselvolle Geschichte eines „imperialen Museums“ bezeichnet werden kann.

Die Schlussdiskussion mit SYLVIA CLAUS und WERNER LORENZ (beide Cottbus) stellte noch einmal die Vielfalt der Facetten des Wertebegriffs in den auf der Tagung vertretenen Fachrichtungen und wissenschaftlichen Zugängen heraus. Lorenz rekapitulierte die unterschiedlichen Ansätze, den Wertebegriff für die historische Analyse wie auch für die praktische Intervention nutzbar zu machen. Als Bautechnikhistoriker und praktizierender Ingenieur habe er sich im „Dschungel“ der divergierenden Wertvorstellungen und -zuschreibungen nahezu verloren; als hilfreich erachte er die Bildung von Begriffspaaren, mit denen sich die Unterschiedlichkeit der Herangehensweisen und Perspektiven stärker hervorheben ließe und Erfahrung und Anschauung im Hinblick auf allgemeingültige Wertebegriffe in den Blick geraten. Auf diesen Versuch und die daran anschließende Frage nach der Bedeutung von Erfahrung und Interaktion für die Genese unserer Wertebegriffe ließ sich Claus als Kunsthistorikerin gerne ein. Anders als in der einflussreichen Werteethik eines Max Scheler, die das In-der-Welt-Sein von Werten durch den Akt des Sehens und Fühlens gleichermaßen als a priori deutete, hat die Tagung ihr zufolge vor allem die Breite und alltägliche Virulenz unserer auf Erfahrung, Anschauung und Aushandlungsprozessen gründenden Wertebegriffe verdeutlicht.

Konferenzübersicht:

Hans-Rudolf Meier (Weimar): Vom Wandel der Werte und vom Wert des Erhaltens

_Sektion 1: Wertbegriff und Wertentstehung

Achim Hahn (Dresden): Lebenswelt und Wert-Urteil. Die Verankerung des Bewertens von Architektur in Wahrnehmung und Erfahrung

Özgün Özcakir (Ankara), Güliz Bilgin Altinöz (Ankara), Anna Mignosa (Rotterdam): A Tool for Identifying Post-intervention Value Shifts in Heritage Places: Heritage Value Circle

Sektion 2: Wertewandel im Entwurfsprozess – Dynamiken und Akteure

Dorothea Roos (Cottbus): Heinrich Hübsch: Ziegelsichtiges Bauen um 1830

Jochen Kibel (Berlin): Wertekonflikt ohne Wertekonflikt – Werteverhältnisse im Neuen Museum Berlin

Marcus v. Reimersdahl (Dresden): „Collaborative Marketing“ – Wertewandel im Forschungsbau

Sektion 3: Strategien der Wertevermittlung – Medien und Instrumente

Moritz Röger (Frankfurt am Main): „Die Bürger haben ein Recht auf Fachwerk!“ Frankfurts neue Altstadt – zur Ideologie einer Debatte

Oona Simolin (Helsinki): Shifting Discussions, Sticky Values? Construction of Values on Guided Tours in Suomenlinna Fortress, Helsinki

Mesut Dinler, PhD (Turin): Scale Matters: Emergence of Urban Conservation in Turkey

Sektion 4: Politische Inwertsetzung – Widersprüche und Aushandlungsprozesse

Luisa Beyenbach (Cottbus): Bitte umwerten. Zu nationalsozialistischen Monumentalanlagen nach 1945

Turgut Saner (Istanbul/Cottbus): The Shifting Values around the (Non-)Existence of the Historical Barracks at Taksim-Gezi – Istanbul

Zeynep Küçük (Istanbul) und İmge Yılmaz (Istanbul): Monumentalization of the Present Through the Case of Ataturk Cultural Center: Dialectics Between Continuity and Change

Sektion 5: Transformation der Werte – Phänomene und Bedeutungsverschiebung

Dr. Stephanie Herold (Bamberg): Visionen, Wünsche, Werte – Die Inwertsetzung städtebaulicher Planungen in historisch vergleichbarer Perspektive

Nicola Thomas (Kopenhagen): Urbane Kleingärten in Europa: Transformationen eines historisch bedeutsamen Stadtraumes

Shraddha Bhatawadekar (Cottbus): As Heritage Becomes World Heritage: Current Processes of Heritagisation at Chhatrapati Shivaji Maharaj Terminus, Mumbai

Bilge Ar (Istanbul): Changing Content, Shifting Meaning: Ottoman Valorizations of Hagia Eirene in Istanbul

Sylvia Claus (Cottbus) und Werner Lorenz (Cottbus): Abschlussdiskussion

Anmerkungen:
[1] Hans-Rudolf Meier/Ingrid Scheurmann/Wolfgang Sonne, WERTE.
Begründungen der Denkmalpflege in Geschichte und Gegenwart, Berlin 2013.
[2] Achim Hahn, Architektur und Lebenspraxis. Eine phänomenologisch-hermeneutische Architekturtheorie, Bielefeld 2017.


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